Das glanzvolle Stadtjubiläum von 2003
2003 feierte Böblingen seinen 750. Geburtstag. Auch zehn Jahre danach ist das Stadtjubiläum bei den Böblinger/-innen unvergessen. Als Gastautor hält Dr. Günter Scholz Rückschau. Der damalige Leiter des Amtes für Kultur war für die Jubiläumsplanung zuständig. Er sieht sich als „Vater des Zeitparks“ - das Highlight im Jahr 2003 war seine Idee. Hildegard Plattner, Leiterin des Theaters der Musik- und Kunstschule, hat sie fantasievoll umgesetzt.
"Bereits 1953 hatte unsere Stadt ihren 700. Geburtstag festlich begangen. Damals waren die Wunden des Zweiten Weltkriegs in der schwer heimgesuchten Stadt gerade erst verheilt. Die zerstörte Altstadt war wieder aufgebaut. Wirtschaftlicher Aufschwung hatte begonnen. Hoffnungsvoll blickten die Menschen in die Zukunft. Zugleich schauten sie mit Stolz zurück auf die vielhundertjährige Vergangenheit der Stadt, welche die Stürme der Geschichte überdauert hatte. Ein mehrfach in Latein urkundlich erwähnter „Scriba de Bebelingin“ wurde als Stadtschreiber interpretiert und die Stadtgründung auf das Jahr 1253 datiert. Allerdings ist eine historisch gesicherte Grundlage der Stadtentstehung in Form einer Gründungsurkunde für Böblingen nicht überliefert. Ein liebevoll gestalteter Festzug, der die Böblinger Geschichte seit den Zeiten des legendären „Ritter Bobilo“ lebendig werden ließ, brachte 1953 die ganze Stadt auf die Beine. An die Böblinger Bauernkriegsschlacht vom 12. Mai 1525 erinnerte das Freilichtspiel „Um Freiheit, Recht und Ehr“ von Friedrich E. Vogt.
Statt Festzug: Der Zeitpark
Um die schöne, 1953 begründeten Tradition des Stadtjubiläums fortzuführen, hielt die Stadt 2003 am Gründungsjahr 1253 fest. Die neuere Forschung geht davon aus, dass Böblingen im Jahrzehnt nach 1250 Stadt wurde. Zwischen der 700-Jahr-Feier von 1953 und dem 750. Stadtgeburtstag von 2003 lag ein halbes Jahrhundert, in dem Böblingen eine atemberaubende Entwicklung von der Kleinstadt zur modernen Mittelstadt erlebt hat. Die Einwohnerzahl hatte sich auf ca. 46.000 vervierfacht. Um die alte Mitte herum war ein neues Böblingen mit zahlreichen Stadtteilen entstanden. Nicht zuletzt wegen der neuen Medien waren die Menschen 2003 verwöhnter und anspruchsvoller geworden, was Feste, Feiern und Events betraf.
Von Anfang an war ich überzeugt: Ein Festzug, wie Land auf, Land ab üblich, das konnte es für Böblingen nicht sein. Ein Festzug, in Monaten mühevoll vorbereitet, rauscht in kaum einer Stunde an den Zuschauern vorbei. Da kam mir der Gedanke: Nicht ein Festzug soll sich bewegen, sondern die Geburtstagsgäste, vorbei an festen Geschichts- und Erlebnisstationen, mit Gelegenheit zum Verweilen, zu Kommunikation und aktivem Mitmachen. Die Idee des Zeitparks war geboren. Bei einem historischen Parcours sollten alle wichtigen Epochen der Stadtgeschichte präsent und erlebbar sein, von der Vorzeit bis in die Gegenwart.
Die Idee wurde von Hildegard Plattner in genialer Weise realisiert. Auf dem Gelände vom Oberen See bis zur damals noch bestehenden Sporthalle begaben sich die Besucher auf Zeitreise.
Schwungvoll von der Vergangenheit in die Zukunft
Den Anfang machten die Steinzeitjäger, mit Werkzeugen aus Stein und Knochen, mit Pfeil und Bogen sowie Feuerstein anschaulich in Szene gesetzt. Durch ein Stadttor betrat man die im Detail nachgebaute Stadt des Mittelalters. Hautnah wurden die Besucher in das bunte und zugleich schwere Leben der Vergangenheit einbezogen, mit Geburt, Pest, Lepra und Tod, aber auch mit Feuersbrunst und Krieg. Von der Alltagswelt der kleinen Leute abgehoben waren Pracht und Glanz der nachgespielten Böblinger Fürstenhochzeit der Gräfin Mechthild auf Schloss Böblingen von einst.
Über eine Zeitrutsche gelangte man in die Neuzeit, die beschauliche gute alte Zeit mit „Omas Laube“ und dem Böblinger Ausflugslokal „Waldburg“, aber auch in die bewegte Aufbruchsepoche der Industrialisierung. Schwungvoll ging es in den 50er Jahren zu, mit den Schlagern der Zeit, Oldtimer-Tankstelle und Milchbar. Einen Sprung in die Zukunft gab es in der Sporthalle. Die Böblinger Firmen präsentierten „Visionäre Welten“, besonders im High-Tech-Bereich. Schulklassen hatten ihre im Projektunterricht gestalteten „Erfinderstationen“ aufgebaut.
In knapper Vorlaufzeit konnte Hildegard Plattner mit ihrem Charme über 4.000 ehrenamtlich Mitwirkende gewinnen, Böblinger/-innen, Kinder, Jugendliche und Senioren, Vereine und Verbände, Schulen und Kirchen. Zahllos waren die Helfer im Hintergrund, z.B. beim Kulissenbau und Kostüme Nähen. Der Besucheransturm war gewaltig. Über 50.000 Gäste strömten in den Zeitpark. Sie kamen aus Böblingen, Sindelfingen, den Kreisgemeinden, aus ganz Süddeutschland und noch von weiter her.
Die Bauernoper
Das zweite Highlight war die Open Air-Aufführung der „Bauernoper“ von Yaak Karsunke auf dem Gelände des Zeitparks. Das unter die Haut gehende Stück unter der Regie von Hildegard Plattner faszinierte über 10.000 Besucher. Mit dem deutschen Bauernkrieg griff es ein zentrales Thema der Böblinger Geschichte auf, das im Deutschen Bauernkriegsmuseum in der Zehntscheuer eingehend dokumentiert ist. Unter Mitwirkung vor allem auch von Böblinger/-innen wurde ein gelebtes Stück Geschichte präsentiert, voll prallem Leben und mit viel Musik, wie „1525, dran dran dran“ und dem ergreifenden „Herr, erbarme dich“.
Der Funke der Begeisterung sprang auf die ganze Stadt über. In dichter Folge gab es Geschichts- und Kunstausstellungen, Aktionen wie „ Sitz-Art“, eine fulminante Aufführung von Carl Orffs „Carmina Burana“ sowie ein Projekt in den Luftschutzstollen des Zweiten Weltkriegs. Feierlich eingeholt und eingeweiht wurde die neue Glocke „Dominica“ für die Stadtkirche. Vorgestellt wurde die neue Böblinger Stadtgeschichte „Vom Mammutzahn zum Mikrochip“, herausgegeben von Sönke Lorenz und Günter Scholz.
Das Echo auf das Stadtjubiläum war überwältigend. Zeitpark und Bauernoper lösten Begeisterungsstürme aus. „Mit den Schaufenstern in die Vergangenheit ist den Böblingern ein Glücksgriff gelungen“, kommentierte die Presse. Der Zeitpark habe weit mehr als Schau und Show geboten: „Diese Veranstaltung hat in der Stadt ein Wir-Gefühl geweckt, das es so zum letzten Mal bei der Landesgartenschau 1996 gab.“ Ein Jahrzehnt nach dem einzigartigen Stadtjubiläum von 2003 wäre es schön, dieses Wir-Gefühl zu beleben und zu stärken, z.B. mit einem gemeinsamen Fest der Böblinger/-innen als Abschluss der umfassenden Stadterneuerung in unserer Unterstadt." (Dr. Günter Scholz)