DER "JUDENACKER"
In den Böblinger Lagerbüchern ist von 1495 bis 1707 ein Judenacker in der damaligen Zelg Nordthalde (auf der heutigen Hulb) belegt. Bezeichnungen wie Judenacker, Judenwiese oder Judengarten außerhalb eines Ortes sind meist auf den oft kurzfristigen Besitz durch Juden und Jüdinnen zurückzuführen und beschreiben in vielen Fällen ein Kaufgeschäft. Seltener wurden früher auch jüdische Friedhöfe als ‚Judenacker‘ bezeichnet. Flurnamen gehen auf mündlich überlieferte Erinnerungen der Bevölkerung zurück und lieferten als Orts- oder Besitzbeschreibung Orientierung. In den Schriftquellen erscheinen sie häufig erst viel später. Die ursprüngliche Verbindung, die für den Namen gesorgt hatte, besteht möglicherweise schon nicht mehr. Daher ist anzunehmen, dass die Beschreibung Judenacker im Lagerbuch von 1707 auf einen mittelalterlichen Besitz zurückzuführen ist.

DIE "JUDENGASSE"
Außerdem nennt das Lagerbuch von 1587 konkret zwei Häuser, die sich in der Judengasse befanden. Ihre genaue Lage lässt sich nicht mehr zweifelsfrei bestimmen. Es spricht viel dafür, dass sie den westlichen Teil der Unteren Gasse zwischen dem heutigen Torgässle und dem Marktgäßle begrenzten.
Leben also im 15. Jahrhundert Juden und Jüdinnen in Böblingen?
Das ist möglich: Denn auch andere Orte in der Region erlauben damals einzelnen Juden und ihren Familien die Ansiedlung. 1454 nimmt die Stadt Herrenberg zeitweilig die beiden Juden Ykussiel und Jakob gegen ein zinsloses Darlehen sowie eine Zahlung von 150 Gulden auf. Für Böblingen fehlen jedoch weitere Quellen, die über einen tatsächlichen Aufenthalt jüdischer Personen berichten könnten.
IN WÜRTTEMBERG VERBOTEN!
Bereits vor 500 Jahren leben nur wenige jüdische Familien in Württemberg: Im Jahr 1492 legt der württembergische Graf Eberhard V. (der spätere Herzog Eberhard I.) in seinem Testament fest, dass sich keine Juden und Jüdinnen mehr in Württemberg niederlassen sollen.
Wege verschließen sich...
1498 folgt mit der Zweiten Regimentsordnung der württembergischen Landstände ein entsprechendes Verbot der Ansiedlung sowie der wirtschaftlichen Betätigung im Gebiet des Herzogtums. Zudem schränken strenge Geleitbestimmungen ihre Bewegungsfreiheit stark ein. Weit verbreitete antijüdische Einstellungen, Sorgen vor wirtschaftlicher Konkurrenz und der Wunsch nach konfessioneller Homogenität führen im ganzen Herzogtum zum Ausschluss der jüdischen Gemeinschaften für die nächsten 300 Jahre.
„Deßhalben durch wyland unsern gnedigen herrnn hertzog Eberharten loblicher gedechtnus in siner fuerstlichen gnaden testament [...] underschrieben besigelt und angenommen. Gesetzt und geordnet ist. Das in dem fuerstenthumb wirtemberg dehain [khain] jud soll gehalten werden. So wollen wir [...] das diese nagenden wuerm die juden. In disem fuerstenthumb nit gehalten. Ouch desselben anstoessern und nachpurn bittlich geschrieben werden, die juden ouch nit zuhalten.“
Quelle: Auszug aus der Zweiten Regimentsordnung der württembergischen Landstände (1498), in: A.L.Reyscher „Sammlung der württembergischen Staats-Grund-Gesetze 2“ (Stuttgart 1829). Die Bezeichnung „nagenden wuerm“ zeigt das antijüdische Gedankengut der Zeit.
IN WÜRTTEMBERG VERBOTEN?
Ein Handelsreisender vor Gericht
Am 1. April 1531 verurteilt das Gericht zu Böblingen Hanns Dir aus Deufringen. Er hatte versucht, dem Juden Lasarus zur Flucht aus dem Gefängnis zu verhelfen. Er verpflichtet sich, künftig die württembergischen Gesetze zu achten. Zwei Wochen später, am 15. April 1531, wird der Jude Lasarus wegen unerlaubten Durchzugs durch Württemberg verurteilt. Er trägt die Gerichtskosten. (Quellen: HStAS A 44 U 495 und HStAS A 44 U 494)
Wie war das möglich?
Das Dorf Deufringen gehörte im 16. Jahrhundert den Herren von Gültlingen. Als Reichsritter entscheiden sie selbstständig über die Aufnahme von jüdischen Menschen. Aufgrund der strengen Bestimmungen ist es den Deufringer Juden jedoch kaum möglich, sich in der Region zu bewegen oder Handel zu treiben, ohne gegen die herzoglichen Gesetze zu verstoßen. Werden sie im Amt aufgegriffen, urteilt das Stadtgericht in Böblingen.
Seit dem 16. Jahrhundert können jüdische Gemeinschaften nur noch an den Landesgrenzen des Herzogtums, in den Dörfern und Kleinstädten der niederadeligen und geistlichen Herrschaften existieren. Ein Schwerpunkt in der Region lässt sich um Horb mit den angrenzenden Dörfern Rexingen, Nordstetten, Dettensee, Mühringen und Baisingen erkennen.
Quelle: Jüdische Niederlassungen im Mittelalter und Jüdische Bevölkerung 1825, in: Historischer Atlas von Baden-Württemberg, Stuttgart 1972. Geobasisdaten © LGL, www.lgl-bw.de. Die Markierungen stellen schemenhaft den Herrschaftsraum des Herzogtums bzw. des Königreichs Württemberg dar.
IN WÜRTTEMBERG GEFUNDEN?
1738/39 Eine magische Schatzsuche
In Haft genommen: Gleich mehrere Böblinger versuchen im 18. Jahrhundert Geld herbeizuzaubern. Mithilfe des sogenannten „Christophelsgebets“, eines Kruzifixes und von Weihwasser wollen sie das „Geldmännlein“ beschwören – ein Geistwesen, das ihnen den Ort eines vergrabenen Schatzes verraten soll.Die Sündenböcke? Neben einem Priester und einem Unbekannten aus Stuttgart sollen ihnen auch mehrere Juden aus Dettensee (bei Horb) geholfen haben. Vermutlich handelt es sich dabei um eine Schutzbehauptung. Und doch zeigt dieser Vorfall: Die Menschen in Böblingen wussten trotz anhaltender Verbote, dass Juden und Jüdinnen in der Region lebten. Sie kannten deren Wohnorte – und hatten möglicherweise sogar persönlichen Kontakt.
VOM JUDEN ZUM CHRISTEN
1823 Die Taufe des Christian Gottlieb Isaac in Dagersheim
Das 19. Jahrhundert bringt mit der Umsetzung aufklärerischer Ideen und staatsbürgerlicher Reformen schrittweise die rechtliche Gleichstellung von jüdischen Menschen mit der christlichen Mehrheitsgesellschaft. Dennoch tritt ein 1784 in Rexingen geborener Jude im Jahr 1823 in Dagersheim zum Christentum über: Aus einem namenlosen „Israeliten“ wird Christian Gottlieb Isaac. Zwei seiner Taufpaten sind keine Geringeren als die führenden Persönlichkeiten des hiesigen Pietismus - Schulmeister Immanuel Gottlieb Kolb und der Kaufmann Johann Jonathan Friedrich Metzger.




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