Die 700-Jahr-Feier 1953 – groß, größer, Großausstellung!

Der letzte Einblick in die Stadtgeschichte zu den Böblinger Polizeiberichten schloss mit dem Ausrücken der damaligen Ortspolizei. Die Alarmanlage der Stadtkasse hatte am späten Abend des 28. August 1953 lautstark Alarm geschlagen. Grund waren Böllerschüsse. Sie stellten sich als fulminanter, aber harmloser Abschluss des ersten Tages der „700-Jahr-Feier“ der Stadt heraus. Dieser Einblick in die Stadtgeschichte widmet sich jener rauschenden Festwoche, die sich nun zum 70. Mal jährt. Eine Vielzahl an Archivgut liegt im Stadtarchiv hierzu vor, das aktuell weiter erschlossen wird.

Ein Event der Superlative
 
Die sogenannte „Gross-Ausstellung“ 1953 war ein Event der Superlative: Man warb mit „520 Ausstellungs-Ständen, 60.000 qm Ausstellungs-Gelände, 11 Ausstellungshallen, 12.000 qm Leichtbau-Hallen und 8.000 qm Landwirtschafts-Ausstellung“. Eine imposante „Ehrenpforte“ an der Tübinger Straße eröffnete dem flanierenden Gast das große Festareal am Unteren See, das sich bis zur Herrenberger Straße erstreckte. 
 
Das Festprogramm vom 28. August bis 7. September war dicht. Nach einer Totengedenkstunde auf dem Friedhof – der Zweite Weltkrieg war weiterhin omnipräsent – eröffnete Bürgermeister Wolfgang Brumme die Festwoche feierlich im bedeutendsten Veranstaltungsort Böblingens der Zeit, dem Schönbuchsaal. In den kommenden zehn Tagen brummte die Stadt. Publikum und Presse waren begeistert vom Programm: Segelschleppflüge mit Abwurf von Flugblättern hoch über den Dächern, eine Kunstausstellung im Feierraum, ein Kammermusikabend, Festgottesdienste, ein Freiballonaufstieg, das Großfeuerwerk ‚1001 Nacht‘ am Unteren See, ein Kappellenwettstreit, gleich mehrere „große volkstümliche Modenschauen“, ein Heimatabend, diverse Sportveranstaltungen, zahlreiche Programmpunkte im Festzelt für 3.000 Menschen ein Vergnügungsparkt und vieles mehr. Das „Wunderland des Kindes“ beglückte Groß und Klein, denn als Fachschau mechanischer Spielwaren war Böblingen damit am Puls der Zeit.
Tagungen der Industrie- und Handelskammer und der Kreishandwerksmeister brachten eine weitere Dimension ins Tagesprogramm der Großausstellung. Zwei besonderen Highlights – der historische Festumzug und die Schlossberg-Freilichtspiele – setzten dem Programm schließlich die Krönung auf.
 
Der „große historische Festumzug“ und die Schlossberg-Freilichtspiele
 
Am Sonntag, den 30. August staunte ganz Böblingen über einen großen historischen Festumzug, der sich von der Stadtgrabenstraße über den Postplatz, durch die Breite Gasse zum Festgelände bewegte. In 27 „Bildern“ zogen reich geschmückte Wägen und aufwändig kostümierte Darsteller am Publikum vorbei: Sie präsentierten zunächst die Böblinger Geschichte in markanten Zeitabschnitten, daran anschließend folgten Wägen von Kreisgemeinden, Landwirtschaft, Gewerbe und Industrie, mittels derer man die neue Böblinger (Nachkriegs-)Zeit zur Schau führte.
 
Mit der Uraufführung am Samstag, den 28. August, stellte das Festspiel „Um Freiheit, Recht und Ehr“ die Bauernschlacht bei Böblingen/Sindelfingen 1525 ins Zentrum. Friedrich E. Vogt, Studienrat am Goldberg-Gymnasium, hatte das Schauspiel für über 100 Mitwirkende eigens für die Feierlichkeiten auf Grundlage eines Manuskripts von Karl Bauer verfasst.
 
Auch die Gemeinschaftsleistung beeindruckte in vielfältiger Weise. Die umgebenden Ortschaften beteiligten sich am Festzug, im Chor und im Schauspiel waren zahlreiche Laien engagiert dabei. Auch die Bürgerschaft erhielt Tannenreisig, um ihre Häuser für den Umzug würdig zu schmücken.
 
Die Presse überschlug sich im Lob: Die Stuttgarter Zeitung verkündete am 28. August: „Es ist die größte Ausstellung dieser Art, die in den letzten Jahren in Baden-Württemberg veranstaltet worden ist. Schon jetzt zeichnet sich der Aufbau der Ausstellung ab, der der wirtschaftlichen Struktur der Jubiläumsstadt entsprechend gestaltet worden ist.“ Die Sonderausgabe des Böblinger Boten schrieb: „Böblingen hat wohl noch nie einen solch prachtvollen, historischen Zug erlebt“.
 
„Gross-Ausstellungen“
 
Großausstellungen lagen im Trend der 1950er Jahre. Das eifrige Sondieren der Stadtverwaltung im Vorjahr trug reiche Früchte. Nicht nur das beauftragte, ortsansässige Böblinger Planungsbüro Carl Lempertz übertrafen sich selbst. Auch die einzelnen Organisatoren, Vereine und Kunst- und Kulturschaffenden leisteten hervorragende Arbeit, sodass Böblingen im Nachhinein zur gefragten Adresse für Planungsexpertise und Kontakte wurde: Für die Freudenstädter Großaustellung vermittelte man später stolz den erfolgreich eingesetzten Kranwagen des US-Reparaturwerks, Landematten gingen nach Rothenburg ob der Tauber.  
 
Das Stadtjubiläum 1253 und die Erinnerungskultur
 
Als Festanlass galt die Stadterhebung Böblingens. Doch, wurde Böblingen im Jahr 1253 tatsächlich vom Dorf zur Stadt? Darüber lässt sich trefflich streiten, denn eine Urkunde zur Stadterhebung ist weder archivisch überliefert noch historisch bekannt. Das ist nichts ungewöhnliches, Böblingen teilt dieses Schicksal der Ungewissheit mit weiteren Städte der Region, zum Beispiel der historischen Reichsstadt Reutlingen.
 
Schon in der Publikation „Böblingen. Burg, Dorf, Stadt“, die der damals gewichtige Heimatgeschichtsverein für Schönbuch und Gäu e.V. für die Festwoche zur 700-Jahrfeier zusammen mit der Stadt erarbeiten ließ, ordnete man die fehlende Quellengrundlage kritisch ein: „Im Blick auf unsere Stadt wird man sich mit der Angabe begnügen müssen, daß Böblingen um 1250 Stadtrecht erhielt.“
 
Was machte im Spätmittelalter eine Stadt zur Stadt? Nicht unbedingt das Stadtrecht. Auch Stadtmauern, das Marktrecht, ein Rathaus für eine aktive Bürgerschaft aber auch eine zentrale Bedeutung für die umgebenden Ortschaften sind für die heutige Geschichtswissenschaft einige der Faktoren, die darauf hindeuten können, dass eine mittelalterliche Siedlung als Stadt galt und bei den Zeitgenossinnen und Zeitgenossen auch als solche wahrgenommen wurde.
 
Der erste sichere Nachweis für die bereits bestehende Stadt Böblingen findet sich erst in einer lateinischen Urkunde vom 23. Juli 1272, die eine Bürgerschaft von Böblingen anführt. Jüngere archäologische Untersuchungen grenzen aber beispielsweise den Baubeginn der heute noch in kleinen Teilen bestehenden historischen Stadtmauer an der Unteren Gasse bereits auf einen groben Zeitraum zwischen 1250 und 1300 ein.
 
Die Forschung der letzten Jahrzehnte deutete die weiteren vorhandenen Schriftquellen etwas zurückhaltender als noch 1953. Im einschlägigen Werk für die Böblinger Stadtgeschichte „Vom Mammutzahn zum Mikrochip“, das die Stadt zum 750. Geburtstag 2003 veröffentlichte, rückte man die Stadtwerdung Böblingens weiter hin zu den 1260er Jahren. Die Wissenschaftler stellten ihre Entwicklung zu einem Herrschaftszentrum in der Region in eine zeitliche Nähe zur Stadtgründung Sindelfingens im Jahr 1263: „Die Existenz der Stadt Böblingen lässt sich zu diesem Zeitpunkt zwar nicht beweisen, sie zeichnet sich aber durch die bereits eingenommenen Funktionen ab.“ So zeugt ein zwischen 1255 und 1260 agierender Schreiber von Böblingen („scriba de Bebelingin“) von einem wichtigen Verwaltungsbeamten der damals hier herrschenden Pfalzgrafen von Tübingen, der wohl aus Böblingen stammte. Vielleicht lernte er die für sein Amt notwendigen Schreib- und Verwaltungstechniken bei seiner Arbeit in Böblingen, die damit städtische Verwaltungsstrukturen gehabt hatte.
 
1953 traf man also eine politische Entscheidung, indem man mit der Großausstellung ‚700-Jahre Böblingen‘ die Stadtwerdung auf anno 1253 festlegte: Drei Jahre nach einer gelungenen und groß angelegten Leistungsschau von Handwerk, Handel und Industrie der Stadt und des Kreises Böblingen (1950) blickte man weiter in die Vergangenheit zurück und besann sich auf die mittelalterlichen Wurzeln der Stadtgemeinschaft, die man als Ausgangspunkt für einen ausgedehnten Gewerbe- und Handelsstand der Gegenwart fasste.
 
Ob Böblingen 1253 schon als Stadt galt oder erst auf bestem Weg dahin war, kann man auch als nachrangig für die Festlichkeiten von 1953 bewerten. Denn die Erinnerung an ein überwältigendes Stadtfest bleibt bis in die Gegenwart. Die 700-Jahrfeier sorgte in der damaligen Böblinger Gesellschaft in der schwierigen Nachkriegszeit für einen gesellschaftlichen Auftrieb als Stadtgemeinschaft, für heimatlichen Stolz außerhalb einer noch keine zehn Jahre zurückliegenden NS-Ideologie und für Anerkennung in der Region sowohl für die gegenwärtige Wirtschaftskraft als auch für eine gelungene Festplanung. Der erste Bürgermeister der Nachkriegszeit, Wolfgang Brumme, fand starke Worte: „An dem Fest unserer Stadtgeschichte, an der 700-Jahrfeier, wollen wir uns des Werts eines richtig verstandenen Gemeinschafts- und Bürgersinnes erinnern, der auch uns befähigt, die noch vor und liegenden Aufgaben zu Nutz und Gedeihen unserer Stadt und ihren Bürgern zu lösen.“

Das Festplakat von 1953 – heute eine Archivalie im Stadtarchiv Böblingen
Das ‚Kinderfest‘ mit Umzug gestaltete das Finale der Feierlichkeiten am Montag, den 7. September 1953.  
Auch der legendäre Ritter Bobilo und sein Gefolge luden zum Eintauchen in die Vergangenheit ein.