Vor 100 Jahren: Die Aussegnungshalle auf dem alten Friedhof wurde eingeweiht
In der heutigen Ausgabe des "Einblicks in die Stadtgeschichte" geht Stadtarchivar Christoph Florian der Geschichte der am 25. November 1913 offiziell eröffneten Aussegnungshalle auf dem Alten Friedhof nach.
Als im 19. Jahrhundert der aus dem Spätmittelalter stammende Friedhof Böblingens im Bereich der heutigen Schafgasse zu klein geworden war, suchte die Stadt nach einer Alternative. Man entschied sich für eine freie Stelle östlich der Vorstadt im Bereich der heutigen Herrschaftsgartenstraße und des Herdwegs. Im Jahr 1835 wurde dort der Friedhof angelegt und im darauffolgenden Jahr erfolgte die erste Beerdigung.
Doch zu Beginn des 20. Jahrhundert stieß auch der Friedhof am Herdweg an seine Kapazitätsgrenzen und sollte daher um ein östliches Teilstück, den „Neuen Friedhof“, erweitert werden. Im Zusammenhang mit der Erweiterung beschloss der Gemeinderat die Errichtung einer Aussegnungshalle (damals Friedhofskapelle genannt). In einem Zeitungsbericht heißt es später dazu: „Man erkannte in hiesiger Stadt schon seit längerer Zeit, daß es ein Bedürfnis sei, für die Unterbringung von Leichen städtischerseits für einen geeigneten Raum zu sorgen, wie auch für gottesdienstliche Zwecke aus Anlaß der Bestattungen einen solchen zu schaffen.“
Ein Baufond zur Finanzierung
Zur Finanzierung des Bauvorhabens und der Friedhofserweiterung richtete der Gemeinderat vor 1910 einen Baufond (Sondervermögen) ein. Dieser enthielt im September 1913 die Summe von 19.000 Mark. Für den Bau mussten dann 30.000 Mark aufgenommen werden, die dank des Fonds die Gemeindefinanzen nicht allzu sehr belasteten.
Das Vorhaben wurde maßgeblich durch Spenden Privater gefördert. So stiftete u. a. eine Frau Stählin 500 Mark. Diese Summe wurde bei Weitem von Dr. Paul Lechler übertroffen, der 5.000 Mark an den Baufond überwies. Dazu finanzierte er noch das Brunnenbecken, die Inschriften, die Aufmalung des Christuskopfes und das Kreuz.
Im Mai 1912 begannen die Arbeiten nach einem Entwurf des Stadtbaumeisters Gustav Eberle. Die Bauleitung und die Abrechnung lagen ebenfalls in dessen Händen sowie beim Bauführer Heimberger. Für den Gewölbekeller war der spätere Einbau eines Krematoriums vorgesehen, der jedoch nie realisiert wurde.
Der Baufortschritt lässt sich an den Auftragsvergaben des Gemeinderats an private Unternehmer im Jahr 1913 ablesen. Am 28. März wurden der Asphaltbelag (in der Leichenhalle) und die Heizung vergeben, am 16. Mai die Malerarbeiten und am 15. Oktober die Möblierung und die elektrische Beleuchtung.
Die Einweihung
Die Einweihung erfolgte am 25. November 1913. Einem Zeitungsbericht nach empfing Stadtbaumeister Eberle um halb vier nachmittags die Festgäste vor dem neuen Bauwerk. In seiner Rede bedankte er sich bei allen, die am Bau mitgewirkt hatten, und übergab Stadtschultheiß Andreas Dingler den Schlüssel zur Aussegnungshalle. Der Stadtschultheiß wiederum bedankte sich bei Eberle, Heimberger und besonders bei den Spendern, die namentlich nicht genannt werden wollten. Weiter sprach er davon, dass das Gebäude „zum Segen für Lebende und Tote gereichen“ sollte. Musikalisch untermalt wurde der Festakt durch Harmoniumklänge, gespielt von Hauptlehrer Kentner, und dem Choral „Jesus meine Zuversicht“. Die in die Halle eingelassenen Festgäste durften, wie es im Zeitungsbericht heißt, ihre Augen „an der wirklich künstlerischen Ausführung ergötzen“.
Wie angedeutet, erhielt das Gebäude allgemeinen Zuspruch. Noch bevor die Aussegnungshalle eingeweiht wurde, gab am 30. April der Böblinger Bote dabei der Hoffnung Ausdruck, dass die „schöne Anlage“ nicht durch die allerorts oft „üblichen unkünstlerischen und in jeder Hinsicht unschönen Grabdenkmale verunstaltet werde“. Auch die Wandbemalung fand Anklang.
Bei der Aussegnungshalle handelt es sich um eine neoklassizistische Anlage. Deren Kern ist „der Hauptbau mit Oberlicht, an den sich die eingeschossigen Nebengebäude anschließen. Die Kapelle erhielt nach Osten eine segmentbogenförmige Apsis.“ Vorbild war die 1907 in Hagen-Wehrinhausen von Peter Behrens erbaute Friedhofkapelle. Die Halle ist Teil eines im Rahmen der Friehofserweiterung angelegten Ensembles, zu dem auch Brunnenhaus, Ummauerung, zwei Eingänge mit Torpfeilern und die Gartenanlage gehören.
Auch außerhalb Böblingens wurde der neue Bau gelobt. In der „Bauzeitung für Württemberg, Baden, Hessen, Elsaß-Lothringen“ stand in der Ausgabe vom 15. Dezember 1914: „Die ganze Anlage ist großzügig und darf als schöne Leistung der Gemeinde Böblingen angesprochen werden. Um einen hochaufstrebenden Hauptbau gliedern sich in zweckentsprechender Weise die verschiedenen notwendigen Nebenräume, Leichenraum, Sezierraum, Zimmer für Geistliche, Aborte etc. Die Formgebung am Aeußern und im Innern ist eine ruhige und bringt den notwendigen ernsten und würdigen Charakter voll zum Ausdruck.“
Stilistischer Mischmasch
Etwas flapsiger drückte es der spätere Restaurator der Wandgemälde, Alois Mros, aus. Er sprach von einem stilistischen „Mischmasch“, das Äußere strenger, „kubistisch“ angehauchter „Spätklassizismus“ und im Inneren Jugendstil mit einem „Schuß Byzanz“. „Zeitgeistmäßig hinkte Eberle etwas hintendrein“, so Mros.
Die Aussegnungshalle überstand zwar den Zweiten Weltkrieg ohne nachhaltigen Schaden, nicht jedoch eine „Renovierungsmaßnahme“ um 1960. In deren Verlauf wurde die schöne Innenbemalung einfach mit neutralgrauer Dispersionsfarbe überstrichen. Deshalb beschloss der Gemeinderat der Stadt Böblingen 1987 – nicht zuletzt aufgrund des Engagements der damaligen Stadträtin Waltraud Gmelin – das auch allgemein in die Jahre gekommene Gebäude umfassend renovieren zu lassen. Die Wandmalereien wurden freigelegt und restauriert. Nachdem 1992 mit der Erneuerung des Kreuzes auf dem Dach die Renovierung abgeschlossen war, erstrahlt die jetzt unter Denkmalschutz stehende Aussegnungshalle wieder in ihrem alten Glanz.
Seitdem wird die Aussegnungshalle vor allem für Trauerfeiern und Gedenkfeiern genutzt. Der ursprünglich für das Krematorium vorgesehene Gewölbekeller ist seit Mai 2011 Ort des Ausstellungsprojekts „Erinnerungsräume“ des Böblinger Künstlers Marinus van Aalst. Der Künstler hat dort seine „ortsspezifischen Arbeiten zur Geschichte des Zweiten Weltkriegs in Böblingen in einer Rauminstallation" zusammengeführt.