Von Wein, Wurfpfeilen und einem Wettbewerb: Die Diezenhalde und ihre Geschichte
Angesichts der durchgehend modernen Bebauung ist es schwer vorstellbar, dass die südlich des Zentrums gelegene Diezenhalde eine geschichtliche Vergangenheit hat. Ein Blick in alte Dokumente belehrt uns jedoch eines Besseren.
Forscht man nach dem ersten Nachweis des Namens, so stellt man nämlich erstaunt fest, dass der Flurname schon 1495, also noch im Mittelalter, in einem Lagerbuch des Amtes Böblingen auftaucht. Ein Lagerbuch ist ein Verzeichnis von Besitzungen, Einkünften und Rechten einer Herrschaft oder einer Verwaltungseinheit. Laut dem Lagerbuch besaß ein gewisser Michel Zyber drei Morgen und einen Jauchert – also ungefähr einen Hektar – Acker „uff der Dietzenhalden“ und musste dafür sieben Gulden jährlich Abgaben an die Herrschaft Württemberg bezahlen.
Der Name Diezen halde setzt sich aus zwei ursprünglichen Teilen zusammen.
Der erste Bestandsteil „Diezen-“ lässt sich auf eine Kurzform des Personennamens Dietrich zurückführen. Es wird wohl der Name eines frühen Besitzers gewesen sein. Mit „-halde“ wiederum wurden im Schwäbischen früher Hänge bezeichnet. Meist weist der Begriff auf Weinbau hin. Die Diezenhalde als Weinlage ist heute schwer vorstellbar, doch wurde im Mittelalter und in der frühen Neuzeit auch auf weniger begünstigten Lagen Wein angebaut. So wird im Lagerbuch von 1495 tatsächlich auch ein „Wingart“, also ein Weingarten oder Wengert, auf der Flur Eckhartsloch genannt. Doch wurde nicht nur möglicherweise Weinbau auf der Diezenhalde betrieben, auch kriegerische Auseinandersetzungen ereigneten sich dort. So wurden 1849 auf der Diezenhalde zwei eiserne Wurfpfeile mit einem beeindruckenden Gewicht von jeweils zehn Pfund – also knapp fünf Kilogramm – gefunden. Solche Wurfpfeile warf man mittels einer Ballista. Dies war eine Art Riesenarmbrust. Der Gedanke liegt nah, dass diese Wurfpfeile etwas mit der Burg zu tun hatten, welche unweit der Diezenhalde auf der Flur „Alte Bürg“ vermutet wird. Hatten Belagerer der Burg Pfeile verloren? Wir wissen es nicht.
Über viele Jahrhunderte hinweg war Diezenhalde lediglich eine Geländebezeichnung.
Bis in die jüngste Vergangenheit wurde der Boden dort vor allem landwirtschaftlich genutzt. Daneben baute man um 1850 am Fuß der Diezenhalde Keuperwerksteine ab. Damals war die Diezenhalde übrigens auch ein bedeutender Aussichtspunkt. Nach der Oberamtsbeschreibung von 1850 gewährte die Stadt mit ihren beiden Seen, von der Diezenhalde aus gesehen, eine sehr malerische Ansicht. Der große Umbruch kam Ende der 1960er Jahre. Das stetig wachsende Böblinger brauchte neuen Wohnraum. Es sollten – wie Oberbürgermeister Wolfgang Brumme 1969 im Gemeinderat ausführte – nicht wie in den 20 Jahren davor, Bebauungspläne für Teilgebiete erstellt werden, sondern die Planung für ein großes Gebiet. Nur so könnten öffentliche Einrichtungen festgelegt und Versorgungsleitungen und Straßenführungen richtig dimensioniert werden. Statt wie früher „Wald- und Wiesenplanungen“ zu betreiben, sollten nun Fachleute, wie z.B. Soziologen und Verkehrsplaner hinzugezogen werden.
Ein städtbaulicher Wettbewerb zur Gestaltung des zukünftigen Stadtteils wurde durchgeführt.
Das Ergebnis sah ein etwa 90 Hektar großes Neubaugebiet für etwa 15.000 Bewohner vor. Das neue Viertel sollte durch eine eigene Infrastruktur eine Stadt für sich bilden. Kennzeichnend für die Planungen waren ein durchgehender Grünzug und die Freiburger Allee als städtebauliches Rückgrat. Letztendlich kam es dann eine Nummer kleiner. Statt 15.000 leben heute etwa 9.000 Einwohner auf der Diezenhalde. Bis zur Vollendung des Stadtteils Diezenhalde sollte es über 30 Jahre dauern. Von Wein, Wurfpfeilen und einem Wettbewerb: Die Diezenhalde und ihre Geschichte Die Diezenhalde – heute ein moderner Stadtteil Erwähnung der Diezenhalde im Lagerbuch von 1587.