Urfehden im Amt Böblingen – Justiz vor 500 Jahren

Das Lagerbuch von 1587 verzeichnet auch Strafen

Die Struktur des frühneuzeitlichen Straf- und Prozesswesen in Böblingen ist allgemein bekannt. Das aus zwölf Richtern bestehende Stadtgericht urteilte über die Delinquenten aus Böblingen oder den anderen Orten des Amts. Der Vogt als Oberhaupt der Verwaltung ließ dann das Urteil ausführen. Erich Kläger hat in seiner 2003 erschienen verdienstvollen Veröffentlichung „Tatort Böblingen – anno dazumal“ einen guten Überblick über das alte Böblinger Straf- und Prozesswesen gegeben und anschauliche Beispiele dazu geschildert.

Im Hauptstaatsarchiv in Stuttgart gibt es nun einen Bestand an alten Dokumenten, die über Strafsachen aus dieser Zeit berichten. Diese Unterlagen werden als Urfehden bezeichnet. Urfehde ist ein alter Begriff und bezeichnete im Mittelalter einen mit einem Schwur bekräftigten Verzicht auf eine Fehde. Im vorliegenden Zusammenhang war damit gemeint, dass Derjenige, der die Urfehde leistete, versprach sich nicht an den für seine Verhaftung Verantwortlichen zu rächen.

Zeit des Umbruchs

Interessant an den Dokumenten ist vor allem der Umstand, dass dort die Straftäter, ihre Taten und die Strafen genannt werden. Im vorliegenden Artikel sollen die Urfehden aus dem Zeitraum von 1500 bis 1530 genauer betrachtet werden. Dies war in Württemberg eine Zeit des Umbruchs. Im Jahr 1514 war es zum Aufstand des Armen Konrads gekommen, 1519 war Herzog Ulrich aus dem Land vertrieben worden und seit 1520 gab es in Stuttgart eine österreichische Regierung, die das noch katholische Herzogtum verwaltete.

Ähnlich wie bei heutigen Strafprozessakten, so lässt sich auch in den Urfehden viel privates Elend erkennen. Wie zu allen Zeiten gaben z. B. manche Ehemänner ihr Geld lieber im Wirtshaus aus, als es ihrer Familie zu Gute kommen zu lassen. So musste 1531 der Böblinger Bürger Max Preining, genannt Becken Marx, u. a. deshalb Urfehde schwören, weil er bis Mitternacht in den Böblinger Wirtshäusern sich aufgehalten hatte, obwohl dass ihm als Scharfrichter verboten war. Besonders negativ wurde ihm dabei angekreidet, dass er sich auch dann noch im Gasthaus verlustierte, als seine Frau in den Wehen lag („in große noth der Kindspand“). Um das Sündenregister voll zu machen hatte er zudem noch einen Aufruhr angezettelt sowie die Öffnung des Stadttores erzwingen wollen. Nachdem Preining aus dem Gefängnis entlassen worden war und Freunde die Zahlung einer Strafe übernahmen, versprach er künftig Wirtshaus, Zeche und Spiel zu meiden und schwor Urfehde.

Ebenfalls zu viel im Wirtshaus verbracht hatten Hanns Bider und Hanns Ber. Die beiden Böblinger Bürger hatten am Samstag vor Palmsonntag lieber dort gezecht, als an der Vesper (Abendgebet) und der Prozession teilzunehmen. Als sie der Vogt deswegen in das Gefängnis bringen ließ, hatten sie zudem noch Widerstand geleistet. Nachdem jeder von ihnen dreizehn Pfund Heller, das waren rund 3000 Heller, Strafe gezahlt und auch Kost und Logis für das Gefängnis beglichen hatten, wurden sie entlassen und schwuren am 10. April 1529 Urfehde. Diese Episode erinnert daran, dass Böblingen noch bis 1534 katholisch war und solche Prozessionen alltäglich waren.

Auch an die vorreformatorisch-katholische Zeit erinnert eine Episode, die sich 1526 zugetragen hatte. Damals gab es in Böblingen in der heutigen Pfarrgasse eine Schwestersammlung (Klause, Kloster). Es handelte sich um eine recht eigenständige klosterähnliche Gemeinschaft unverheirateter Frauen, die zusammen lebten, beteten und ihren karitativen Werken nachgingen. Zu einer dieser Schwestern hatte Hanns Byder einen engeren Kontakt geknüpft, war in der Folge Nachts in die Klause eingebrochen und durch „sollchen unordenlichen Eingang“ zu diese Schwester – in der Urkunde wird sie als Nonne („Nunnen“) bezeichnet - gestiegen. Hanns wurde jedoch erwischt und kam zunächst mal in das Gefängnis („gefengknus“). Auf Bitten des Gerichts (!) wurde er jedoch frei gelassen.

Ein „Trowbrieff“

Man konnte aber auch wegen Briefe im Gefängnis landen. So ging es 1513 dem Holzgerlinger Hainrich Bittel, der wegen eines „trow brieff“ – also eines Drohbriefes - an die Holzgerlingerin Anna Schütze verhaftet worden war. Der danach geleistete Eid wird in der Urkunde genannt und beginnt folgendermaßen: „[…] das ich freywillig anbezwungen ainen gelerten aide mit uffgehepten vingern […] zu gott unnd den hailigen gesworn hab […]“ Bittel gelobte in der Folge sich nicht an die Verursacher seiner Strafe zu rächen.

Die ganze barbarische Grausamkeit der damaligen Justiz wird in der Urfehde von Caspar Gertner aus Böblingen deutlich. Gertner hatte in Döffingen, Dagersheim und Magstadt Geld und Wollhemden u. a. gestohlen. Er kam in das Gefängnis. Das Urteil lautete, dass ihn der Scharfrichter mit zum Oberen Rathaus am Markt führen und ihn von dort aus (bei entblößtem Rücken) mit Ruten bis zum oberen Tor (am Plattenbühl) schlagen sollte. Danach sollten ihm noch die Ohren abgeschnitten werden. Am Tag der Urteilsverkündung am 13. Januar 1539 unmittelbar vor der Urteilsvollstreckung versprach Gertner Württemberg zu verlassen.

Viel glimpflicher kamen 1535/36 Hanns Schwab und Hanns Rümelin davon. Sie waren Gefängniswärter gewesen als ein gewisser Hanns Zar aus der Haft entkam. Beide wurden jeweils zu einer hohen Geldstrafe von 20 Gulden verurteilt. Für Hanns Rümelin ist auch die interessante Abrechnung der Haftkosten erhalten. Bei 63 Tagen Haft mussten täglich für Lebensmittel („Atzung“) 36 Heller aufgebracht werden, dass machten insgesamt – auf Heller und Pfennig genau - 2268 Heller oder in damaligen Worten ausgedrückt neun Pfund und neun Schilling Heller aus. Für die 47 Maß Wein (1 Maß = ca. 2 Liter) musste Rümelin insgesamt 658 Heller bezahlen. Da es ja keine Gefängniskantine gab, hatten Wirte für Lebensmittel und Wein gesorgt und damit die Aufgabe eines frühneuzeitlichen Cateringservices übernommen.