"Wie sind nun die Aussichten für die Zukunft?"

Böblingen im Spiegel der Jahresberichte 1930 und 1934

Eine Ansicht Böblingens in den 1930er Jahren

Diesmal wirft Stadtarchivar Dr. Christoph Florian einen Blick in die Berichte für die Jahre 1930 und 1934, welche der Böblinger Bürgermeister Georg Kraut jeweils im darauffolgenden Januar vor dem Gemeinderat verlas. Die gesetzlich vorgeschriebenen Berichte befassten sich mit allen Aspekten des Lebens, soweit sie die Stadtverwaltung betrafen. Da das historische Archiv Böblingen 1943 verbrannte, stellen die wenigen erhaltenen Jahresberichte Quellen von höchstem stadthistorischen Wert dar.

Böblingen war damals eine kleinere Stadt. Dementsprechend fiel die standesamtliche Statistik für 1930 aus. Kraut konnte immerhin die Steigerung der Hochzeiten von 62 im Vorjahr auf 85 vermelden. Von den 120 Geburten hatten 78 in Böblingen stattgefunden, schließlich gab es noch 128 Sterbefälle. Es handelte sich damals zwar um ein recht beschauliches Städtchen, doch verhielten sich auch in Böblingen nicht alle Bewohner so, wie sie es sollten. Es waren insgesamt 402 Strafverfügungen verhängt worden, darunter 60 wegen „grobem Unfug und ruhstörendem Lärm“, eine wegen „Werfen mit Unrath“ sowie drei wegen dem „Laufenlassen von Geflügel“.

Bericht ermöglicht einen Blick auf die Vermögenslage

Das städtische Gesamtvermögen betrug ohne Abzug von Schulden 5.160.000 Reichsmark, darunter Immobilienbesitz wie 1.288 Hektar Wald und 72 Hektar Feldgrundstücke. 1930 war auch das Jahr, in dem die große Wirtschaftskrise, die eine der Ursachen der nationalsozialistischen Machtübernahme war, ihre volle Wirkung entfaltete. Der Ernst der wirtschaftlichen Lage zeigt sich im Abschnitt über die Fürsorge: Es gab 400 Erwerbslose und Unterstützungsbedürftige, die Arbeitslosenzahl hatte sich binnen eines Jahres verdoppelt. Zu Weihnachten hatte die Stadt 203 Hemden und Unterjacken, 228 Hosen, 175 Paar Socken und Strümpfe, 25 Paar Schuhe, 30 sonstige Kleidungsstücke und Kindersachen in 96 Fällen an Notleidende ausgegeben. Dazu kamen noch 100 von der Firma Kindler & Briel gestiftete Spiele.

Die bedrückenden Zukunftsaussichten wurden mit der rhetorischen Frage "Wie sind nun die Aussichten für die Zukunft?" sowie der Antwort darauf "Schlecht, recht schlecht" kommentiert. Es war dann auch kein Wunder, dass die Erfüllung von Wünschen aus der Bevölkerung, wie z.B. nach einem Freibad, verschoben wurde. Als Mittel zur Beseitigung der Not wird im Bericht die Schaffung von Arbeitsplätzen genannt.

Der Jahresbericht 1934 gleicht auf den ersten Blick dem von 1930

Doch ist er das Dokument einer Diktatur, auch wenn die Folgen der Machtergreifung und der damit verbundene Terror oder rassistisch motivierte Verfolgung darin nicht vorkommen. Nur in einigen wenigen Punkten wird erkennbar, dass sich das politische Leben vollständig verändert hatte. Zu Beginn bei den statistischen Mitteilungen wird diesmal auch die Einwohnerzahl Böblingens genannt, sie betrug 8.420, die Flugschüler nicht mitgezählt. Unter den Strafverfügungen der Ortspolizeibehörde fällt vor allem eine wegen Tierquälerei auf.

Die Zeichen der Zeit erkennt man auch an der Erwähnung der "Hermann-Göringstrasse" (heute Friedrich-List-Straße), an der von der Stadt verkaufte Grundstücke lagen. Der Personenkult des NS-Regimes schlug sich also auch in Böblingen in Form neuer Straßennamen nieder. Ärgerlich war für die Gemeinde, dass das Bezirksschulamt nach Stuttgart verlegt worden war. Hingegen konnte Bürgermeister Kraut erfreut berichten, dass ein Bürger für ein Altersheim 1.000 Reichsmark gestiftet hatte.

Heitere und ernste Nachrichten

Bürgermeister Kraut bei einer Veranstaltung in Zivil
hinter Vertretern von Wehrmacht und Partei

Angesichts der vielen staatlichen Verbrechen bringt ein Vorfall den Leser eher zum Schmunzeln.
Denn der Bürgermeister berichtete empört, dass dem erst im Februar 1934 gekauften Farren (Zuchtstier) in der Nacht vom 12. auf den 13. Juli das Geschlechtsteil mit Karrensalbe angestrichen worden war, er deshalb ernstlich krank wurde und noch immer nicht gesund war. Kraut sorgte sich nun, dass er nicht mehr „diensttauglich“ werden würde. Zu allem Überfluss konnten der oder die Täter nicht ermittelt werden.

Von wesentlicher ernsterer Natur war die Mitteilung, dass im Rahmen von Luftschutzmaßnahmen ein Schutzraum auf dem Schloßberg – nicht zu verwechseln mit dem später erstellten Schloßbergstollen – im Rohbau fertig war, erste Vorbereitungsmaßnahmen für einen geplanten Krieg.

Interessant ist die Erwähnung von Eisenbahnwaggons in der Steinung, welche als Notquartiere dienten. Die Gemeinde hatte zwar für 10.000 Reichsmark vier Behelfswohnungen erstellt, um die Waggons räumen zu können, doch wurden diese Wohnungen anderweitig gebraucht. Deshalb plante man nun nochmals vier Behelfswohnungen zu erstellen, diesmal sollten sie aber den Bewohnern der Eisenbahnwaggons zugute kommen.

Mit freundlichen Worten wurde Stadtbaumeister Eberle nach 25 Dienstjahren zum 1. Dezember 1934 bei der Stadt Böblingen verabschiedet. Eines seiner wichtigsten Bauprojekte, die 1913 vollendete Aussegnungshalle im Alten Friedhof, steht noch heute.

Ziemlich große Probleme bereitete der Stadt die Verlegung des Lagers des freiwilligen Arbeitsdienstes nach Sindelfingen. Denn der Arbeitsdienst hatte am Oberen See ein Bassin für ein Freibad ausgehoben. Nach Abzug des Arbeitsdienstes stürzte das fast ganz ausgegrabene unbefestigte Bassin teilweise wieder ein. Dadurch wurde wieder die Diskussion aufgeworfen, ob ein Freibad durch ein Bassin mit Holzspund(wänden) realisiert werden sollte, wie es Stadtbaumeister Eberle 1933 vorgeschlagen hatte, oder ein Betonbassin mit Wasserumwälzverfahren. Der Aufwand für Letzteres hätte 50.000 bis 60.000 Reichsmark betragen und war zu teuer, deshalb favorisierte die Stadtverwaltung eine kostengünstigere Lösung. Denn ein Schwimmbad musste her.

Überhaupt die Seen

Immer wieder beschäftigten sie die Gemeinde. 1930 hatte Böblingen die Erlaubnis erwirkt zwei Drittel des Unteren Sees aufzufüllen. Die Stadt wollte jetzt den Unteren See gänzlich auffüllen und dort einen Festplatz anlegen. Doch das Landesamt für Denkmalspflege sowie der Gaukulturwart der NSDAP waren dagegen. Doch verhinderten allein schon die Kosten für die Anlage eines Festplatzes das Vorhaben, sie hätten 146.445 Reichsmark betragen. Die Trockenlegung des Oberen Sees wäre einfacher zu erreichen gewesen. Doch wären die Baumaßnahmen für einen Festplatz – obwohl etwas günstiger - immer noch zu teuer gewesen.

Der Bericht endet mit dem Treuebekenntnis zu Hitler, darin heißt es unmittelbar vor dem Hitlergruß „ihm wollen wir anhangen und Treue halten, was auch kommen mag.“ Ein Jahrzehnt später lag das alte Böblingen in Trümmern, das Ergebnis der Politik eines verbrecherischen Regim.