Notgeld - Böblingen und die Inflation von 1923

Seit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 hatte der deutsche Staat immer mehr Geld gedruckt, um die immensen Kriegskosten finanzieren zu können. Das Geld verlor dadurch immer mehr an Wert. Durch die Folgen des Friedensvertrags von Versailles von 1919 wurden das Ausmaß und die Auswirkungen der Inflation noch verstärkt.

Um die Reparationszahlungen (Entschädigungszahlungen) an die Siegermächte bezahlen und die Kriegsanleihen an die eigene Bevölkerung zurückzahlen zu können, ließ die Reichsregierung noch mehr Geld drucken. 1922/23 eskalierte dann die Situation. Deutschland war wegen der wirtschaftlichen Notlage nicht mehr im vollen Umfang imstande die Reparationszahlungen zu leisten. Daraufhin besetzten im Januar 1923 französische und belgische Truppen zeitweise das Ruhrgebiet, um die Zahlungen zu erzwingen.

Notgeldschein in Höhe von 50 Milliarden

Die Hyperinflation

Die deutsche Regierung ließ in immer schnellerem Tempo neues Geld drucken. Es kam zu einer extremen Geldentwertung (Hyperinflation). Der Nennwert (Nominalwert) des Geldes stieg ins Unermessliche, so kostete so z. B. am 9. Juni 1923 in Berlin ein Ei schon 800 Mark, am 2. Dezember des gleichen Jahres waren es unvorstellbare 320 Milliarden.

Das Geld musste wegen der explodierenden Inflation so schnell gedruckt werden, dass die Reichsdruckerei und die staatlich beauftragten Druckereien nicht nachkamen und das Bargeld knapp wurde. In dieser Situation traten in ganz Deutschland Städte und Gemeinden, aber auch private Firmen auf den Plan und brachten Notgeld heraus. Auch in Böblingen geschah dies. Das Wissen darüber entstammt einer späteren Niederschrift von Georg Kraut, Stadtschultheiß (Bürgermeister) Böblingens von 1919 bis 1938. Im Februar 1949 schrieb der in Konstanz-Wollmatingen wohnende Ruheständler seinen Erinnerungsbericht über diese Episode städtischer Geschichte nieder und schickte ihn nach Böblingen.

Die Not der Firma Maier & Co.

Nach Kraut hatte der Böblinger Gemeinderat zunächst die Ausgabe von Notgeld abgelehnt. Doch als Anfang 1923 der Juniorchef der Firma Maier & Co. (Hautana) Hans Sussman sich ganz aufgeregt beim Stadtschultheiß meldete, dass ihm Kleingeld für die Bezahlung der Arbeiter fehle, handelte dieser umgehend. Kraut entwarf einen Geldschein und nahm Kontakt mit der Druckerei Wilhelm Schlecht auf. Man wurde sich handelseinig und vereinbarte den Druck von 2.500 Geldscheinen im Gesamtnennwert von 10.000 Mark. Um Fälschungen zu vermeiden, unterschrieb Kraut dann jeden Geldschein einzeln. Er brauchte dafür insgesamt zwei Tage. Die gebündelten Notgeldscheine wurden der Firma Maier & Co zugestellt, welche dann mit einem Scheck die Stadt bezahlte. Als Georg Kraut dem Gemeinderat davon berichtete, war dieser von dem forschen Vorgehen des Stadtoberhaupts nicht sonderlich erbaut, stimmte aber nachträglich zu.

Die Geldentwertung schritt weiter fort

Böblingen und Sindelfingen schlossen sich angesichts der Not zusammen und gaben am 20. August 1923 gemeinsam Notgeldscheine zu 50.000, 100.000, 500.000, 1.000.000 und 2.000.000 Mark aus. Da man auch in diesen Notzeiten den Humor nicht gänzlich verloren hatte, wurden die Scheine, wie der hier abgebildete, mit einem Vers über eine fiktive Begebenheit bedruckt, die auf witzige Weise auf das Verhältnis zwischen Böblingen und Sindelfingen anspielte.

Der Vers lautete: "A Schwob kommt nach Endien nei / Der kaihrt en Kalkutta ei / Ond frogt en deam Wirtshaus no: / Ihr Leut, isch koi Böblenger do? / Do schreit so a indischer Denger: / Ha noi, aber a Sendelfenger!" (Eine Schwabe kommt nach Indien, kehrt in Kalkutta ein und fragt im Wirtshaus nach: "Ihr Leute, ist kein Böblinger da?" Da schrie so ein Inder: "Nein, aber ein Sindelfinger").

Die Inflation ging weiter. Notgeldscheine mit immer höherem Nennwert mussten gedruckt werden, wie der hier abgebildete im Wert von 50 Milliarden Mark. Das Notgeld zirkulierte nicht nur in Böblingen und Sindelfingen, sondern auch an weiter entfernten Orten, wie in Weingarten bei Ravensburg. Im weiteren Verlauf stieg dann Sindelfingen aus der gemeinsamen Geldausgabe aus.

Stadtschultheiß Kraut konnte nun seine Schreibhand schonen, denn ein Vergleich der im Böblinger Stadtarchiv befindlichen Notgeldscheine zeigt, dass die Unterschrift nun mitgedruckt wurde.

Die große Inflation fand dann ihr Ende als die seit dem 13. August 1923 amtierende Regierung von Reichskanzler Gustav Stresemann im darauffolgenden November die sogenannte Rentenmark ausgab. Die Rentenmark wurde deshalb so bezeichnet, weil es sich eigentlich um ein Wertpapier handelte, das bei der ausgebenden Stelle (Deutsche Rentenbank) wieder eingelöst werden konnte. Der Begriff Rente ist in diesem Zusammenhang als Kapitalertrag zu verstehen. Sie war durch zwangsweise verfügte Hypotheken und Grundschulden auf Grundbesitz in Landwirtschaft, Industrie und Gewerbe abgesichert. Das Verhältnis der Rentenmark, faktisch eine Parallelwährung, zur weiterhin gültig bleibenden Mark betrug 1:1 Billion.

Eine neue Währung

Die Bevölkerung konnte nun ihr Inflationsgeld gegen die Rentenmark in Form von Geldscheinen und -stücken umtauschen. Das Wirtschaftsleben erhielt ein stabiles Zahlungsmittel. Im August 1924 wurde die weiterhin bestehende Mark durch eine neue Währung, die Reichsmark, ersetzt. Als vertrauensbildende Maßnahme blieb die Rentenmark im Umlauf. Die Inflation war besiegt.

Die Stadt Böblingen nahm daraufhin das Notgeld zurück. Für eine Billion gab es eine Rentenmark bzw. Reichsmark. Laut Kraut machte die Stadtkasse dabei einen Gewinn von 4.000 Reichsmark, wobei er nicht ausführte, wie der Gewinn genau zustande kam. Auch in Böblingen gab es eine Wende zum Besseren und der Böblinger Bote meldete am 24. Januar 1924, dass die Brotversorgung sich verbessert hatte.

Die Inflation war vorüber. Doch hatten viele Menschen, die über keine nennenswerten Sachwerte verfügten, ihr Geldvermögen verloren und waren verarmt. Die wirtschaftliche Schwächung breiter Bevölkerungsschichten führte in einem großen Teil der Gesellschaft zur Entfremdung vom parlamentarisch-demokratischen System und verstärkte so in der Zeit der großen Wirtschaftskrise zu Beginn der 1930er Jahren die Anfälligkeit für den Nationalsozialismus.