Flugplatz, Feldpost, Fundstücke

Im heutigen Einblick in die Stadtgeschichte beschäftigt sich die Stadtarchivarin Tabea Scheible mit einem Fundstück, das die Böblinger Fliegerei-Geschichte betrifft. Auf Umwegen gelangte ein sowohl eindrucksvolles als auch traurig stimmendes Foto jüngst wieder zurück nach Böblingen.

Absturz auf dem Böblinger Flugplatz

Im Juni vor 105 Jahren, am 12. Juni 1916, havarierte auf dem Böblinger Flugplatz ein Flugzeug. Die Doppeldeckermaschine vom Typ „LVG B.I“ war nach dem Absturz stark beschädigt, seine Flügel zerstört. Schlimmer noch als die Maschine hatte es seine Besatzung getroffen. Während der Flugbegleiter mit einem verwundeten Bein halbwegs glimpflich davonkam, erlag der Flieger der 2-Sitzer-Maschine seinen Verletzungen.
 
Auf der Rückseite der Foto-Postkarte lesen wir:
„Am 12. Juni 1916 auf dem Flugplatz Böblingen
Stuttgart abgestürzt Führer tot begleiter am Knie verletzt“

Die Fea 10
 
Die beiden uns heute leider nicht namentlich bekannten Flieger gehörten wohl der Fliegerersatzabteilung (Fea) 10 an. Diese war während des Ersten Weltkrieges ab 1915 und nach Kriegsende bis 1919 auf dem Flugplatz in Böblingen stationiert.
 
Das Heck, das nach dem Aufprall in die Höhe ragte, trug die Flugzeugkennung „B. 906/14“. Es stammte aus dem Werk der ‚Luft-Verkehrs-Gesellschaft A.G.‘. Das Unternehmen entwickelte seit 1910 am Berliner Flugplatz Johannisthal verschiedene Flugzeugtypen, darunter den Doppeldecker B I.
 
Ihre Mercedes-Motoren erhielten die Flugzeuge der Baureihe wiederum von der Daimler-Motoren-Gesellschaft, die ein Werk in Berlin-Marienfelde betrieb. Im Ersten Weltkrieg setzte das Militär des Deutschen Reiches die Flugzeuge zunächst als Aufklärer an der Front ein, dann aber nur noch für die (militärische) Pilotenausbildung.
 
So wohl auch bei diesem Unglücksflug. Denn am Böblinger Flugplatz bildete die Fea 10 in ihrer Werftschule hunderte von Schülern aus. Zum einen als Piloten, zum anderen in den handwerklichen Berufen des Flugwesens am Boden. Trauriger Bestandteil dieses Kapitels der Böblinger Fliegereigeschichte waren damit auch einige dutzend Flugzeugabstürze mit noch mehr Verunglückten.

Ein Blick aufs Flugfeld

Eine zeitgenössische Aufnahme zeigt uns das Böblinger Rollfeld, wie es damals um 1916 ausgesehen hat. Auf dem noch weitestgehend unbefestigten Wiesenboden sind über 18 solcher Doppeldecker-Maschinen geparkt. Die schwarz-weißen Hoheitszeichen des Deutschen Kaiserreichs weisen die Flugzeuge weithin sichtbar als Teil der Luftstreitkräfte aus. Eine Reihe Uniformierter hat sich – womöglich zum Appell – versammelt. Eines der Flugzeuge wird gerade aus einem Fass auf einem hölzernen Handkarren betankt, andere werden gewartet. Ersatzteile liegen am Boden bereit. Kleine Trittleitern sollen den Zugang zu den Flugzeugen erleichtern, die eine Flügelspannweite von 14 Metern erreichten. Die Propeller der geparkten Maschinen tragen eine Schutzhülle.
 
Der Flugplatz ist zu diesem Zeitpunkt noch im Ausbau begriffen, wir sehen die Baukonstruktion im Hintergrund. Dahinter erstreckt sich entlang der Bäume die Sindelfinger Allee. Technischer Fortschritt und ‚alte Zeit‘ liegen hier nah beieinander: oben am rechten Bildrand versteckt sich das Gebäude der damals noch bestehenden spätmittelalterlichen Rohrmühle. Diese musste schließlich im Zuge des Ausbaus des Fliegerhorsts während der NS-Diktatur weichen, heute befindet sich dort das Gelände der Wildermuth-Kaserne.

Ein Blick über Böblingen hinaus

Doch kommen wir zum Fundstück zurück. Das Stadtarchiv hat nicht nur das Absturzfoto als spannendes Zeugnis der Fliegereigeschichte erhalten, sondern auch ein beigelegtes Briefkuvert.
 
Über die technischen Entwicklungen, aber auch die Unglücksfälle am Böblinger Flughafen war man im benachbarten Großherzogtum Baden informiert. Das Böblinger Absturzfoto wurde wohl im Folgejahr, im Sommer 1917, aus der ‚Lehr- und Versuchsanstalt für Luftverbindungen‘ im oberrheinischen Breisach weiterverschickt. Davon zeugt noch heute der Poststempel auf dem Feldpost-Briefumschlag vom 27. August.
 
Zur Frage, warum sich die Lehr- und Versuchsanstalt für Luftverbindungen mit dem Absturz der LVG B. I-Maschine beschäftigt, lässt sich bisher wenig Sicheres sagen. Hatten die dortigen Mitarbeiter das Flugzeug begutachtet? Das, aber auch andere Gründe sind denkbar. Für einen Zusammenhang spricht, dass in Breisach zwischen 1901 und 1919 eine Militär-Brieftauben- und Heliographenstation (zur Nachrichtenübertragung via optischer Telegrafie) arbeitete. Die heute doch eher kurios erscheinende Einrichtung setzte auf damals neuartige Medientechnologie, um Kriegshandlungen besser zu koordinieren. Dass man so Beziehungen zum Militärflugplatz in Böblingen pflegte, bei dem auch Informationen zu Flugzeugabstürzen übermittelt wurden, ist plausibel.

Fundstücke zum Einsehen im Stadtarchiv

Friedlich-ziviler Natur ist der Informationsaustausch heute zwischen dem Stadtarchiv Böblingen und dem Stadtarchiv Breisach, vom dem wir das spannende Fundstück freundlicherweise erhalten haben. Foto-Postkarte und Kuvert bereichern als Digitalisate nun die historische Quellensammlung des Stadtarchivs und sind für alle interessierten Archivnutzer*innen einsehbar.