Die Böblinger Bürgerschaft 1272
In diesem Einblick in die Stadtgeschichte beschäftigt sich Stadtarchivarin mit einer Urkunde, die vor genau 750 Jahren ausgestellt wurde. Die Urkunde hat eine besondere Bedeutung für die Böblinger Stadtbürgerschaft. Denn an ihr lässt sich nicht weniger diskutieren, als wann Böblingen von den damaligen Zeitgenossen als Stadt wahrgenommen wurde. Die Informationen stammen aus der Urkunde selbst als auch aus der spannenden Aufarbeitung von Christian Keitel („Böblingen im Spätmittelalter“).
Ausgestellt wurde die Pergamenturkunde am 23. Juli 1272. Die Urkunde mit ihren noch zwei von drei anhängenden Siegeln liegt heute sicher verwahrt im Hauptstaatsarchiv Stuttgart. Das linke Siegel verweist auf Graf Ulrich von Tübingen. Das rechte auf Graf Sigmund von Eberstein. Das letzte, nicht mehr vorhandene, stammte von Bischof von Konstanz.
Was verbindet im 13. Jahrhundert diese drei bedeutenden Persönlichkeiten mit Böblingen?
Zunächst einmal der Ausstellungsort der Urkunde: actum Bebilingen, ausgestellt in Böblingen, lesen wir auf Latein in gotischer Minuskelschrift geschrieben im letzten Abschnitt der Urkunde. Graf Ulrich von Tübingen und die beiden weiteren Siegelgeber bezeugten damit in Böblingen einen Verkauf. Ob das nun auf der Burg (dem späteren Schloss und Residenz der Württembergischen Grafen in Böblingen) geschah, oder in der Stadt selbst, wird nicht genauer festgehalten. Der hochadlige Graf von Tübingen willigte damit in einen Verkauf einer Zehnt-Abgabe ein, den die niederadlige Familie von Graf Friedrich von Renningen an das Sindelfinger Stift tätigte. Deutlich wird, Böblingen ist damals ein Herrschaftsmittelpunkt für die Grafen von Tübingen und Bezugspunkt für die von ihnen abhängigen Niederadligen.
Unser Augenmerk verdienen auch die weiteren Zeugen, die in der spätmittelalterlichen Urkunde, wie damals üblich und notwendig, angeführt werden. Wir lesen von „aliis quam plurimis cum predictis fratribus presentibus civibus in Bebilingen viris providis et honestis et discretis“. Das heißt, neben verschiedenen Geistlichen waren auch vorausschauende, ehrenhafte und ausgezeichnete Männer anwesend, die als „Bürger in Böblingen“ bezeichnet werden. Bürger hatten dem damaligen Verständnis nach nur Städte, nicht etwa Dörfer. Damit ist die Urkunde von 1272 der älteste schriftliche Beleg für Böblingen als Stadt mit Stadtbürgerschaft.
Uns liegt heute keine Gründungsurkunde (mehr) vor, wann Böblingen zu Stadt wurde – vielleicht gab es auch niemals eine! Um von den damaligen Menschen als Stadt wahrgenommen zu werden, konnten mehrere Faktoren ausschlaggebend sein. Eine Urkunde zur Stadterhebung war eine Möglichkeit, andere waren zum Beispiel der Bau einer Stadtmauer oder das Wirken als herrschaftliches Zentrum.
Den Bau der ersten, wehrhaften Ummauerung für die historische Altstadt Böblingens können wir heute auf das späte 13. Jahrhundert datieren, den Sitz der Böblinger Linie der Grafen von Tübingen können wir ebenfalls zu jener Zeit in Böblingen festhalten. Die Stadt entwickelte sich im unmittelbaren Zusammenhang mit den Pfalzgrafen von Tübingen zum politischen und administrativen Zentrum in seiner Umgebung, das (mindestens) seit 1272 auf eine aktive Bürgerschaft zählte.