Weihnachten in Böblingen – 1860, 1910 und 1960
Weihnachten gilt als eine besondere Zeit, als eine Zeit der Besinnlichkeit und des Nachdenkens. Zugleich ist es aber auch eine Zeit des Konsums und des Stresses. War das früher auch so? In der ersten Ausgabe von „EinBlick in die Stadtgeschichte“ im Amtsblatt werfen wir einen Blick in alte Ausgaben des Böblinger Boten. Was stand in den Jahren 1860, 1910 und 1960 jeweils in der letzten Zeitungsausgabe vor Weihnachten? Welchen Stellenwert hatte Weihnachten damals in der Zeitung?
Im Jahr 1860 war Württemberg noch ein selbstständiges Staatswesen und Deutschland in viele Kleinstaaten zersplittert. Die allgemeine politische Stimmung nach der gescheiterten Revolution von 1848 war eher pragmatischvorsichtig. Eine neue Entwicklung – die Industrialisierung – hatte auch das beschauliche Landstädtchen Böblingen erfasst. Recht nüchtern fängt die Ausgabe des Böblinger Boten vom 23. Dezember 1860 an. Ein schwarzgrauer auf der Staatstraße bei Böblingen gefundener Überrock suchte seinen Besitzer. Die politischen Nachrichten ergeben ein zwiespältiges Bild. Im Königreich Württemberg war es ruhig. Ganz anders im Nahen Osten. Dort gab es im Gebiet des heutigen Libanon schwere Ausschreitungen gegen die christlichen Maroniten. Laut Bericht waren rund 120.000 Christen vertrieben worden und es gab 19.000 Todesopfer. Der im Bericht zitierte preußische Konsul in Beirut forderte die Hilfe Europas für die Opfer. Etwas wohliger ums Herz wird es dann wohl Freunden geistiger Getränke geworden sein. Der Böblinger Likörhersteller G. Zais empfahl im Anzeigenteil für das bevorstehende Weihnachten Arac de Patavia, Rhum de Jamaica, AracPunschEssenz, sechsjährigen Kirchengeist und andere alkoholische Getränke. Pünktlich zum Fest der Kinder brachte die Witwe eines L. Müller aus Sindelfingen dem Leser ihr Sortiment an „Kinderspielwaaren in geneigte Erinnerung“. Ein Gedicht mit dem Titel „Das verwaiste Mutterherz am Weihnachtsabend“ am Ende der Ausgabe versetzte schließlich den Leser in die damals angemessene Weihnachtsbesinnung.
1910 – Böblingen im Zeitalter des Wilhelminismus
Fünfzig Jahre waren vergangen. Württemberg war mittlerweile Teil eines vereinigten Deutschlands. Auch in Böblingen war jetzt das Zeitalter des Wilhelminismus heraufgezogen. In der Ausgabe vom 24. Dezember 1910 bekommt der Leser davon allerdings wenig mit. Aus der württembergischen oder der deutschen Politik gibt es keine Nachrichten. Stattdessen konnten sich die Leser am Fortsetzungsroman von G. von Stokmanns mit dem Titel „Die blaue Brille“ erfreuen. Der Wetterbericht ließ nebliges und kaltes, aber trockenes Wetter erwarten. Der Radfahrerverein Böblingen lud für den 26. Dezember zu seiner Weihnachtsfeier ins Hotel Post. Dort fanden Gabenverlosung, theatralische Aufführungen, Konzertvorträge sowie eine Tanzveranstaltung statt. Der Gewerbeverein Böblingen hingegen teilte für den 27. Dezember die Vorführung eines „Autogenschweißapparates“ mit. Im Anzeigenteil schließlich suchte eine nicht genannte Person per Annonce vier Liter Milch. Angebote waren an die Redaktion des Kreisboten unter der Nr. 100 zu senden.
1960 – Böblingen im Wandel
Böblingen im Wandel Abermals waren 50 Jahre ins Land gezogen. Mittlerweile war Deutschland wieder einmal geteilt. Es gab keine Monarchie mehr, die Demokratie nahm inzwischen ihren zweiten, diesmal erfolgreichen Anlauf. Für die Böblinger hatte sich so ziemlich alles geändert. Der Wiederaufbau des kriegszerstörten Böblingen und die Stadterweiterung schufen ein ganz neues Antlitz der Stadt. Selbst die Zusammensetzung der Menschen war eine andere, Flüchtlinge und Umsiedler beeinflussten nun das soziale Leben mit und packten gemeinsam mit den Alteingesessenen beim Wiederaufbau mit an. Weihnachten beherrscht in der Ausgabe vom 24. Dezember 1960 nun auch die Titelseite. In den politischen Nachrichten wirft der Kalte Krieg seine Schatten. Die Sowjetunion forderte die Einberufung einer Konferenz wegen des von Kämpfen zwischen prowestlichen und prokommunistischen Kräften zerrissenen Laos. Auch zur Weihnachtszeit ist die jüngste Vergangenheit präsent. Der SSSanitäter Gottfried Muzikant wurde wegen vielfachem Mord und Mordversuch in den Konzentrationslagern Mauthausen und Melk zu 21 mal lebenslänglichem Zuchthaus und Ehrverlust auf Lebenszeit sowie zu weiteren 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Im wirtschaftlichen Teil konnte Bundeswirtschaftsminister Erhard in seinem Jahresrückblick zufrieden die Erhöhung der Kaufkraft aufgrund steigender Löhne und die sich daraus ergebende steigende Nachfrage am Markt feststellen. Jedoch sorgte sich der Minister wegen des Arbeitskräftemangels. Der Einzelhandel war mit dem Weihnachtsgeschäft zufrieden und sprach von einer „Luxuswelle“. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung hingegen warnte vor üppigen Menüs, welche oft beim Arzt endeten. Solche Probleme hatten die aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten und Mitteldeutschland stammenden Bewohner des Böblinger Durchgangslagers und des Sindelfinger Übergangswohnheims nicht. Sie waren froh, dass jetzt das tägliche Brot gesichert war.