Bestattungskultur in Böblingen: Der Alte Friedhof, die Aussegnungshalle und deren Vorgänger

In diesem Einblick in die Stadtgeschichte befasst sich Stadtarchivar Dr. Christoph Florian mit den Böblinger Bestattungsplätzen und was wir über diese wissen.

Der heutige Alte Friedhof in Böblingen hat ungeachtet seines Namens schon einige Vorgänger gehabt. Dabei berühren sich in bemerkens­werter Weise ältere und jüngere Bestattungskulturen auf gleichem Ort.

Vorchristliche Bestattungskulturen

Die frühesten Nachweise von Bestattungskultur in Böblingen reichen in die Vorgeschichte zurück. Ausgerechnet im Bereich des jüngsten Böblinger Friedhofs, des Waldfriedhofs, auf der Flur Brand finden sich Relikte vorgeschichtlicher Gräber. In einer ersten Periode wurden in der mittleren Bronzezeit, also etwa 1600 bis 1200 vor Christi, Hügel­gräber errichtet. Die verbrannten Toten wurden damals mit Grab­beigaben beigesetzt und Grabhügel mit bis zu 13,5 Metern Durch­messer aufgeschüttet. Vielleicht waren sie auf einen alten, dem Schönbuchrand folgenden Weg ausgerichtet. In einer zweiten Periode errichtete man in der frühkeltischen Späthallstattzeit (600 bis 450 vor Christi) im großen Umfang Hügelgräber. Teilweise wurden dabei auch einige der alten bronzezeitlichen Hügel mitbenutzt.

Auch für die Alemannenzeit gibt es Hinweise auf einen Friedhof. Im Umkreis des städtischen Feierraums (Enge Gasse 10) wurden im Zeit­raum 1816 bis 1903 merowingerzeitliche Grabfunde entlang der Schafgasse und der Gartenstraße (heute Pestalozzistraße) entdeckt. Vermutlich gehörten sie zu einem einzigen großen Reihengräberfeld. Die Funde wurden zwar nicht dokumentiert und sind verloren, doch lässt die Erwähnung eines Reitersporenpaars auf ein Kriegergrab des 7. Jahrhunderts schließen und liefert damit auch einen zeitlichen Anhaltspunkt. Bei einem anderen Grab deutet dort offenbar gefunde­nes Kriegsgerät auf ein weiteres Kriegergrab hin. Auch dieser Friedhof wurde unter dem Einfluss vorchristlicher Jenseitsvorstellungen an­gelegt. Man stellte sich das Leben nach dem Tode ähnlich kriegerisch wie das Leben im Diesseits vor.

Christliche Bestattungskultur

Im Mittelalter wurde ein neuer Friedhof angelegt, der mit der Vorgängerkirche der Stadtkirche seinen Bezugspunkt hatte. Dieser 1537 schriftlich erwähnte Friedhof lag ursprünglich unmittelbar nördlich der Kirche, deren älteste Teile, mindestens in die Zeit um 1000 datie­ren. Das Kirchengebäude bot Raum, um von den Toten Abschied zu nehmen und ihrer zu gedenken. Aufgelassene Teile des Friedhofs wur­den durch die Vergrößerung der Kirche überbaut.

Im Spätmittelalter erfolgte aus Platzmangel die Anlage einer neuen Begräbnisstätte im Bereich der oberen Vorstadt. Sie befand sich genau auf der Stelle des heutigen Pestalozzischulhofs. Der Friedhof kehrte somit wieder zu seinen alten alemannischen Ursprüngen zurück. Und auch dieser Friedhof erhielt mit der Marienkapelle einen Ort der Besinnung und der Erinnerung. Die 1469 erwähnte Kapelle wurde auch als Gottesackerkirche bezeichnet. Das Patrozinium Sankt Maria war mit Bedacht auf ihre Funktion als Friedhofskapelle gewählt worden, galt doch Maria gemeinhin als die Fürbitterin für die Sünder.

Aber auch dieser Friedhof wurde – trotz einer Erweiterung im Jahr 1787 –  zu klein und stieß endgültig an seine Grenzen. Weil eine Erweiterung nicht mehr möglich war, musste ein Platz weiter außerhalb der Stadt gewählt werden. Auf einer freien Stelle östlich der Vorstadt zwischen Herrschaftsgartenstraße und Herdweg wurde man fündig und legte 1835 abermals einen neuen Friedhof an. Am 25. März 1836 erfolgte dort die erste Beerdigung.

Nach Verlegung des Friedhofs benötigte man die Gottesackerkirche nicht mehr als Stätte des Gedächtnisses und sie wurde funktionslos. Daher profanierte man und nutzte sie u. a. als Turnhalle und als Lager­raum. In nationalsozialistischer Zeit wurde sie zu einem Feierraum umgebaut und nach der Zerstörung 1943 im Jahr 1952 wieder her­gestellt. Heute wird sie für Theater- und andere Kulturveranstaltungen genutzt.

Auch der Friedhof am Herdweg wurde durch das beständige Bevölke­rungswachstum zu klein und daher zu Beginn des 20. Jahrhundert um ein östliches Teilstück, den „Neuen Friedhof“, erweitert. Im Zusam­menhang mit der Erweiterung wurde die Errichtung einer Aus­segnungshalle beschlossen. Nach einem Entwurf des Stadtbau­meisters Gustav Eberle erfolgte dann vom Mai 1912 bis November 1913 der Bau der Kapelle mit Leichenhaus. Die Einweihung erfolgte am 25. November 1913. Der Bau wurde so ausgeführt, dass bei Bedarf ein späterer Einbau von Öfen möglich gewesen wäre, welche Feuerbestat­tungen ermöglicht hätten.

Bei der Aussegnungshalle handelt es sich um eine „monumentale, neoklassizistische Anlage.“ Deren Kern ist „der Hauptbau mit Ober­licht, an den sich die eingeschossigen Nebengebäude anschließen. Die Kapelle erhielt nach Osten eine segmentbogenförmige Apsis.“

Nach ihrer Fertigstellung wurde das neue Gebäude allseits gelobt. In der „Bauzeitung für Württemberg“ stand in der Ausgabe vom 15. Dezember 1914: „Die ganze Anlage ist großzügig und darf als schöne Leistung der Gemeinde Böblingen angesprochen werden. ... Die Formgebung am Aeußern und im Innern ist eine ruhige und bringt den notwendigen ernsten und würdigen Charakter voll zum Ausdruck.“

Im Jahr 1930 wurde dann der Alte Friedhof durch ein weiteres östlich gelegenes Areal, dem Waldfriedhof, erweitert. Im Zweiten Weltkrieg erlitt auch der Friedhof Schäden. Ein Brief des geschäftsführenden Bürgermeisters Nissler an den Landrat vom 31. Mai 1944 informiert darüber. Bei der Bombardierung der Stadt am 7./8. Oktober 1943 war nämlich auch eine Sprengbombe auf den Friedhof gefallen. Dadurch wurde die Friedhofsmauer schwer beschädigt und eine Anzahl von Bäumen vernichtet oder beschädigt. Ebenso wurden viele Grab­denkmäler und Grabanpflanzungen zerstört oder beschädigt. Die Friedhofshalle wurde gleichfalls erheblich in Mitleidenschaft gezogen, ein Teil des Schadens jedoch behelfsmäßig behoben.

Nach dem Krieg wurde der Friedhof wieder einmal erweitert. Zunächst wurde in den Jahren 1951, 1957 und 1964 das Friedhofsgelände vergrößert. Weil trotz der Erweiterungen des Friedhofs am Herdweg vorauszusehen war, dass die Platzkapazität nicht ausreichte und keine weiteren Erweiterungsflächen mehr vorhanden waren, wurde schon 1960 mit Planun­gen zur Anlage eines neuen Friedhofs im Gebiet „Auf dem Wasen“ begonnen. Im September 1967 wurde dann die gleich­falls Waldfriedhof genannte neue Friedhofsanlage am Maurener Weg ihrer Bestimmung übergeben. Selbstverständlich verfügt auch der Waldfriedhof über ein Sakralgebäude.

Der Waldfriedhof zeichnet sich, wie schon der Name zeigt, durch einen überdurchschnittlichen Anteil an Grünflächen aus. Dadurch, dass ein Hügelgrab restauriert und in die neue Friedhofsanlage integriert wurde, greifen frühester und jüngster Böblinger Bestattungsplatz ineinander über.

Im Zeitraum 1999-2002 wurden der Alte Friedhof saniert, der älteste Teil des Friedhofs durch eine Mauer markiert, der Baumbestand gelichtet und neue Alleen angelegt.

Auf dem Alten Friedhof finden sich neben den Gräbern Böblinger Bürgerinnen und Bürger, darunter auch Opfer der Luftangriffe des Zweiten Weltkriegs, auch die Gräber von Kindern polnischer Zwangsarbeiterinnen, welche durch Unterernährung und ungenügende Erstversorgung gestorben sind. Ein Birkenhain weist auf die Gräber von elf überwiegend durch Luftangriffe zu Tode gekommenen russischen Kriegsgefangenen hin. Auf dem Friedhof finden sich außerdem die Ehrengräber der vier bei einer Flugvorführung am 18. September 1930 verunglückten Flieger Gustav Engwer, Leopold Hagenmeyer, Walter Spengler und Fritz Schindler.